17.09.2024 „Bei der Rente wird einigen bange“

Expertin spricht in Konstanz über Alterssicherung
Noch sehen die Zahlen ganz passabel aus
Kreisseniorenrat plädiert für Umbau des Systems

Von Claudia Rindt

Konstanz – Die Rentenkasse bekommt nicht das Geld, das ihr versprochen wurde. Albert Blässing vom Kreisseniorenrat sagt das – und Gabriele Frenzer-Wolf, Direktorin der Rentenversicherung in Baden-Württemberg, sagt das auch. Auf Einladung des Altenhilfevereins spricht sie im Sitzungssaal des Landratsamts über Altersarmut. Viele Fragen bleiben an diesem Abend offen oder werden gar nicht angesprochen, etwa der immer größere Abstand zwischen den Renten und den explodierenden Kosten in Pflegeheimen.

Gabriele Frenzer-Wolf ist eingesprungen. Ursprünglich sollte Andreas Schwarz sprechen, erster Direktor der deutschen Rentenversicherung in Baden-Württemberg, doch er erkrankte. Deshalb zeigt sie seine Folien und erläutert sie. Ihre Botschaft: Noch ist die Generation im Ruhestand, die gut verdient hat. Deshalb schauen die Zahlen ganz passabel aus. Es gibt die kleinen Renten, aber nur 3,7 Prozent der Rentenempfänger beziehen Grundsicherung im Alter, weil sie zu wenig zum Leben haben. Es ist unklar, wie viele Menschen Anspruch auf Grundsicherung hätten, diese aber aus Scham oder bürokratischen Hürden nicht beantragen. Ein Bürger sagt, schon Anträge auf Wohngeld würden über Monate nicht bearbeitet. Er glaubt: „Scham ist das falsche Wort.“

1018 Euro, das ist der Betrag, der für eine alleinstehende Person als Bedarf angesehen wird. Dabei sind 350 Euro für die Kaltmiete veranschlagt, ein für die Stadt Konstanz lächerlicher Betrag, 50 Euro für die Heizung, 55 Euro für andere Nebenkosten. Bleiben nach dieser Berechnung 563 Euro, um den restlichen Lebensunterhalt zu decken. Die Jahrgänge, bei denen es in vielen Branchen keine Tariflöhne mehr gab, kommen erst noch im Ruhestand an. Doch schon jetzt ist zu sehen, wo die Probleme liegen.

Neben den festen Rentenbeiträgen, einer Säule, gebe es noch zwei „Krücken“, wie Frenzer-Wolf sagt: die betriebliche und die private Altersvorsorge. Diese sollten die fünf Prozent decken, um ein Niveau von 53 Prozent (Entwicklung der Rente im Verhältnis zu den Löhnen) zu halten. Aber die private Riesterrente ist ein Flop. „Da hat der Staat nicht aufgepasst und die Versicherungswirtschaft machen lassen“, sagt ein Besucher. Viele deckten die Lücke nicht oder völlig unzureichend. Zudem ist nicht klar, ob das Rentenniveau weiter sinkt. Eine Garantie von 48¦Prozent gibt es nur bis 2025. Ein Absinken auf 43 Prozent in den 2030er-Jahren wäre „ganz bitter“, sagt Gabriele Frenzer-Wolf. Im schlimmsten Fall müsste der Versicherte auch noch für die Gelder aufkommen, die der Rente vorenthalten würden. Seit 2022 seien dies 9,7¦Milliarden Euro. Diese Summe sei der Rentenkasse aus dem Bundeshaushalt versprochen worden, doch sie habe sie nicht bekommen. Stattdessen sei der Zuschuss gekürzt worden. Mit diesem Geld sollten steigende Verwaltungskosten, aber auch versicherungsfremde Leistungen beglichen werden. Das sind Auszahlungen, für die nie Rentenbeiträge eingezahlt wurden, also zum Beispiel für Aussiedler oder Bürger der ehemaligen DDR.

Die Rente müsse endlich von den versicherungsfremden Leistungen befreit werden, fordert auch Albert Blässing vom Kreisseniorenrat. Er rechnet vor, dass der Rentenkasse seit 1957 eine Billion Euro vorenthalten wurde. „Das Geld ist da, aber es wird nicht in die Rentenversicherung gesteckt.“ Er plädiert für den Umbau des Systems. Jeder solle einzahlen, auch Beamte, die bisher staatliche Pensionen beziehen. Gabriele Frenzer-Wolf plädiert auch dafür, dass mehr Menschen einzahlen, etwa Selbstständige oder Abgeordnete. Sie hat aber Zweifel, ob es sinnvoll und möglich ist, Beamte einzubeziehen. Gerade diese würden sehr lange leben, viel länger als Arbeiter und Angestellte, sagt sie, und ein Lachen geht durch den Saal des Landratsamts. Der Mythos vom Beamten, der sich im Beruf nicht verausgabt, lebt.

Die Direktorin macht deutlich, dass es darum gehen muss, die Menschen so früh wie möglich in Arbeit zu bringen, auch Migranten: „Ich verstehe nicht, warum die halbe Regierung nach Südamerika geht, um dort Pflegekräfte zu bekommen.“ Deren Ausbildungen würden in der Regel nicht vollständig anerkannt. Es gebe genügend Menschen im eigenen Land, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Auf die Frage, ob durch Migranten eine Welle an Grundsicherungsfällen im Alter zu erwarten sei, sagt die Referentin: „Die meisten sind ja sehr jung.“ Sie fügt an, es sei „ganz verheerend“, wenn Frauen nicht arbeiten können, weil sie nicht die notwendige Kindergartenbetreuung oder Ganztagesschule finden. Bei beidem mangelt es in Konstanz bekanntlich an Plätzen.

Frenzer-Wolf schildert auch, wie ihre Behörde unter der „doppelten Demographie“ leide. Auf der einen Seite gingen viele Mitarbeiter in den Ruhestand, auf der anderen Seite stiegen die Anträge auf Rente. Obwohl die Ausbildungsquote bei über zehn Prozent der Beschäftigten liege, fehlten Mitarbeiter. Sie bedauert, dass die Grundrente durch ihre Komplexität zusätzliche Arbeitskraft binde, den Versicherten aber nur wenig mehr Geld bringe. Ihre Behörde versuche, freundlich zu agieren: „Wir sind bestrebt, Bescheide so verständlich wie möglich zu gestalten.“ So schreibe man einfach „Ihr Recht“ anstelle des üblichen „Rechtsbehelfsbelehrung“. Diese ist etwa dann wichtig, wenn es um Einsprüche geht.

Ist sie sicher?

Gabriele-Frenzer Wolf, Direktorin der Rentenversicherung in Baden-Württemberg, ist überzeugt davon, dass die Rente sicher ist. Warum? Sie existiert seit 135 Jahren, sie hat zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise und Finanzkrisen überstanden. «Das müssen uns andere erst einmal nachmachen.» Im Jahr 1889 fiel in Deutschland der Startschuss für die gesetzliche Rente. Damals erließ Reichskanzler Otto von Bismarck das Gesetz betreffend die Invalidität- und Altersversicherung. Sechs Jahre zuvor wurde die gesetzliche Krankenversicherung und fünf Jahre davor die Unfallversicherung eingeführt. (rin)  

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