27.03.2025 Gut versorgt im Alter in Stadt- und Landkreis?
Diskussion über medizinische Versorgung im Kreis
Chefarzt weist auf Defizite in den Kliniken hin
Welche Pläne Verbund mit der Geriatrie verfolgt
Von Claudia Rindt
Konstanz Achim Gowin stand schon als Kind am Telefon und nahm Patientenanrufe entgegen. Die ganze Familie war in den ärztlichen Bereitschaftsdienst seines Vaters, ein Landarzt von altem Schlag, eingebunden. Achim Gowin ist einen anderen Weg gegangen, doch wie sein Vater hat er Freude an der breiten, fächerübergreifenden Medizin. Der 68-Jährige, der über seinen Ruhestand hinaus arbeitet, ist Chefarzt der Klinik für Altersmedizin (Geriatrie) im Krankenhaus Konstanz. Das ist eine Abteilung für in der Regel mehrfach erkrankte alte Menschen, die mit einem akuten Problem ins Klinikum kommen. In einem Vortrag spricht er auf Einladung des Altenhilfevereins über die Probleme: Die Schwächsten einer Gesellschaft, also die ganz jungen und die ganz alten Menschen, haben keine Lobby.
Der Altenhilfeverein mit der Vorsitzenden Luise Mitsch fragt am Donnerstag, 27. März, um 18 Uhr im großen Sitzungssaal des Landratsamts: Gut versorgt im Alter in Stadt- und Landkreis? Weiterer Referent ist Stefan Basel, der Sozialdezernent des Landkreises. Achim Gowin sagt: Gemessen an der Bevölkerungszahl (292.000 Menschen) müsste der Landkreis 80 klinische Plätze für die Altersmedizin vorhalten, dies zeigten Berechnungen aus anderen Bundesländern. In Baden-Württemberg gibt es aber aktuell keinen Bedarfsplan für die Altersmedizin. Er hofft, dass sich das bald ändert. Grundsätzlich müsse der Pflegeberuf attraktiver werden, um auch die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen. Auch Nils Torke, Sprecher des Gesundheitsverbundes im Landkreis Konstanz, sagt: „Wie sich die Versorgungskapazitäten für geriatrische Patienten über die aktuelle Planung hinaus gestalten lassen, ist stark von der Umsetzung der anstehenden Reformen in der Gesundheitsversorgung abhängig.“
Als die Altersmedizin noch im Radolfzeller Krankenhaus war, hatte sie 60 Planbetten. Wie viele tatsächlich belegt wurden, schwankte zuletzt wegen gesetzlicher Vorgaben und verfügbarer Fachkräfte. Dann wurde das Radolfzeller Haus geschlossen und die Abteilung nach Konstanz verlagert. Viele der angestammten Fachkräfte gingen nicht mit. Konstanz sei aufgrund Verkehrslage und Wohnungsmarkt ein schwieriges Pflaster, sagt Achim Gowin. Als die Geriatrie im Jahr 2023 nach Konstanz kam, sollte sie 44 belegbare Betten für den gesamten Landkreis vorhalten, so wie es das Medizinkonzept des Gesundheitsverbundes vorsieht. Aktuell sind es aber nur 20, zusätzlich zu den eingestreuten Betten für geriatrische Patienten in anderen Fachabteilungen des Klinikums. Thomas Beringer, kaufmännischer Direktor des Konstanzer Krankenhauses, streicht die Chancen dieser flexiblen Strukturen heraus. Sie deckten den Bedarf in einem ersten Schritt ab und stellten sicher, „dass geriatrische Patienten im Landkreis weiterhin auf hohem Niveau versorgt werden“.
Achim Gowin schildert aber auch die Schwierigkeiten: „Wir könnten doppelt so viele Patienten aufnehmen.“ Es gab lange Wartelisten, doch Wartezeiten über Monate hinweg seien in der Altersmedizin nicht sinnvoll. Man könne sich unter dem Strich nur den gravierendsten Fällen widmen. In seiner Klinik für Altersmedizin nehmen sich viele Fachkräfte eines meist vielfach erkrankten Patienten an. Es wird zum Beispiel untersucht, was dieser überhaupt mit seinem Verstand erfassen kann und welche Therapien unter diesen Voraussetzungen sinnvoll sind. Die Altersmedizin bewegt sich zwischen Akutbehandlung und Rehabilitation. Ziel ist es, den Patienten wieder so herzustellen, dass er selbstständig in seiner häuslichen Umgebung leben kann. „70 Prozent schaffen das“, sagt Achim Gowin.
Er plädiert dafür, die Altersmedizin zu stärken. Infrage käme eine Aufteilung der Betten auf die Klinikstandorte Konstanz und Singen oder eine Umverteilung auf bestehende Abteilungen. Für den Kreisseniorenrat betont Harry Fuchs: „Sogenannte eingestreute Plätze können unseres Erachtens die notwendige Versorgung nicht leisten.“ Angesichts der steigenden Zahl betagter Menschen bringt auch er den Neubau des Klinikums in Singen ins Spiel: Der Kreisseniorenrat würde den Aufbau einer zusätzlichen Geriatrie und/oder einer gerontopsychiatrischen Abteilung im geplanten neuen Krankenhaus begrüßen. Dieser Standort „wäre auch für die meist älteren Besucher der Patienten im Landkreis besser zu erreichen.“ Der Kreisseniorenrat hat wegen der Geriatrie eine Arbeitsgruppe gebildet, um die Lage zu analysieren und konkrete Forderungen und Vorschläge an die Verantwortlichen im Landkreis zu richten. „Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Fuchs. Der Vorteil der Geriatrie: Medizinische Leistungen bei mehreren Erkrankungen eines Patienten erfolgten aufeinander abgestimmt, mit Rücksicht auf eventuell verlangsamte Reaktionen. „Im Alltag einer klinischen Fachabteilung kann das Pflegepersonal mit dem vorhandenen Zeitdruck kaum darauf eingehen“, ist Harry Fuchs überzeugt.
Der Gesundheitsverbund plant derzeit mit einem Ausbau der Altersmedizin am Standort Konstanz. Dies soll durch den Umbau des bestehenden Gebäudes oder einen Anbau geschehen. Es sind maximal 44 Plätze vorgesehen. Thomas Beringer sagt dazu: „Die endgültige Umsetzung der 44 Plätze wird durch bauliche Maßnahmen ermöglicht, die wir aktiv vorantreiben“. Ein Zeitplan stehe aber noch nicht fest, heißt es vonseiten der Pressestelle des Gesundheitsverbundes. Man stimme sich mit der Abteilung Vermögen und Bau Baden-Württemberg sowie dem Sozialministerium ab. Thomas Beringer unterstreicht die Bedeutung der Altersmedizin: Die Nachfolge des langjährigen Leiters Achim Gowin, der das Ruhestandsalter erreicht hat, werde „sorgfältig vorbereitet, um die hohe medizinische Expertise und Kontinuität in der Klinik sicherzustellen“. Die geriatrische Kompetenz bleibe erhalten durch das bestehende Team aus Ärzten und Pflegern, die sich geriatrisch weiterbilden. Das sei notwendig für die komplexe Behandlung. „Um den wachsenden Bedarf weiter zu decken, setzen wir verstärkt auf die Fortbildung unserer Mitarbeitenden.“